Abituraufgaben2

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1. Der Text entstand im Jahr 1901. Im Mächtesystem der damaligen Zeit lag ein Bündnis zwischen Deutschland, der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn und Italien vor, der so genannte Dreibund. Der darüber hinaus geschlossene Zweibund zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn verstärkte dieses Band noch einmal.
Weil der 1887 abgeschlossene Rückversicherungsvertrag zwischen Deutschland und Russland 1890 auslief und keine Verlängerung von Seiten Deutschlands gebilligt wurde, fand eine Annäherung zwischen F und RUS statt, was schließlich zu einem Verteidigungsbündnis gegen Deutschland führte. Es war das erste gegen den Dreibund gerichtete Bündnis und beendete zusätzlich die von Bismarck eingefädelte Isolation Frankreichs.
Das letzte Bündnis zur damaligen Zeit war das sogenannte Mittelmeerabkommen zwischen Spanien, Italien, England und Ö-U.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Deutschland eine durch die zahlreichen Bündnisse gesicherte Position zu dieser Zeit in Europa einnahm, die Isolation Frankreichs gerade zu Ende ging und England sich weitgehend aus den Bündnissen heraushielt.

2.1 Francis Bertie charakterisiert die europäischen Großmächte in seinem Memorandum deutlich. So hält er Deutschland für unzuverlässig in Bündnisfragen, denn er verweist auf den Rückversicherungsvertrag, den Bismarck hinter dem Rücken seines Verbündeten Österreichs mit Russland schloss (Z. 16 f.).
Auch hält er Deutschland zwar für einen mächtigen Bündnispartner, aber er durchschaut, dass Deutschland versucht England gegen F und RUS aufzuhetzen (Z. 37 ff.) und umgekehrt. Bertie verweist ebenso auf die „gefährliche Lage“ Deutschlands in Europa (Z. 20), denn durch seine zentrale Lage ist es von allen Seiten angreifbar.
Über England schreibt der Autor, es sei „das Zünglein an der Waage“ (Z.50) zwischen dem Zweibund und dem Dreibund. Er weiß, dass Deutschlands einen mächtigen Verbündeten gegen Frankreich und Russland braucht und er ist sich auch einer drohenden Isolation Englands bewusst. Doch diese „bietet auch Vorteile“ (Z.10), so Bertie.
In Europa sieht der Autor einige Möglichkeiten von Koalitionen. So zieht er ein Bündnis mit Deutschland in Betracht, was zwar die Absicherung bei einem Angriff Frankreichs und Russlands bedeuten würde, doch er ist sich auch der Opfer bewusst die England bringen müsste. So „müssten wir unser Verhalten auf einem weiten Gebiete des Erdteils seinen [Deutschlands] Anschauungen anpassen und unsere Politik der seinigen unterordnen“ (Z.42 ff.).
Würde England eine Koalition mit Frankreich oder Russland oder sogar beiden eingehen, „wird die Lage Deutschlands in Europa kritisch werden“ (Z. 33), denn dann wäre Deutschland einem Angriff dieser beiden Mächte ausgeliefert.
Die britische Position im Jahr 1901 sieht laut Bertie wie folgt aus: Er ist sich um die Randlage Englands in Europa bewusst und kennt die Gefahr einer Isolation. Doch er sieht darin insofern einen Vorteil, dass England sich in seiner Kolonial- und Weltpolitik nicht Deutschland unterordnen müsse. Auch kennt er die Auswirkungen der Position Englands auf das Mächtesystem in Europa. Beginnt England eine Verständigung mit Frankreich und Russland, steht Deutschland allein gegen sie, da es von Italien und Österreich-Ungarn auf keine allzu große militärische Hilfe setzen kann. Deshalb ist das bereits vorhin erwähnte Zitat aus Zeile 50 sehr treffend formuliert: England als „Zünglein an der Waage“ hat es in der Hand, ob und wenn ja in welche Richtung das Mächtegleichgewicht wandert.

2.2 Betrachtet man die internationale Entwicklung bis 1914, so fällt auf, dass nicht alle Einschätzungen Berties zutrafen. Deutschland war durchaus eine mächtige Nation in Europa, und es versuchte England eine Zeit lang für sich zu gewinnen. Doch bereits mit dem Bau der „Risikoflotte“ Ende des 19. Jahrhunderts beendete Deutschland eine pro-englische Politik. Und auch nach der Entstehung dieses Memorandums gab es weitere deutsche Aktionen, die Berties Einschätzung eines Werbens um englische Bündnisschaft widerlegen. So zum Beispiel der „Panthersprung nach Agadir“, der das Verhältnis zwischen Frankreich und England verfestigte. Ein Bündnis mit Deutschland kam somit gar nicht mehr erst in Frage.
Was Bertie dagegen richtig einschätzte war die britische Position zu Beginn des 20. Jahrhunderts. England hatte sehr wohl eine wichtige Rolle im Mächtesystem Europas inne, denn herrschte während der Isolation Englands noch Gleichgewicht auf dem Kontinent, so wurde dieses durch Englands Eingreifen gekippt.