Aufsatz Abiturthema 2016

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Demokratie und Diktatur - Probleme der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert

"Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist."

Die hier vorliegende Formulierung stammt aus der Rede des Bundespräsidenten Joachim Gauck, welche er im Rahmen einer Gedenkveranstaltung im Berliner Dom gehalten hatte. In der Debatte um das Schicksal der Armenier wagt sich der Bundespräsident weiter vor als regierung und Parlament, da er das Unrecht an den Armeniern erstmals als "Völkermord" bezeichnete. gleichzeitig erinnerte gauck an die deutsche Mitschuld an diesem grauenhaften Verbrechen, dem im Zeitraum von 1915 bis 1916 zwischen 200.000 und 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Der Völkermord an den Armeniern diente zudem auch als Vorbild für die Vernichtungspläne der Nationalsozialisten, wenngleich diese weitaus verheerendere Konsequenzen mit sich führten: "Was die Nachfahren der Opfer aber zu recht erwarten dürfen, ist die Anerkennung historischer Tatsachen und damit auch einer historischen Schuld", so Gauck. Angesichts dessen stellt sich die Frage, inwieweit die Nürnberger Prozesse in den jahren von 1945 bis 1949 zur Aufabreitung des 2. Weltkrieges beigetragen haben. Damit eng verknüpft ist die Art und Weise des Umgangs mit der NS-Vergangenheit seitens der Bevölkerung in den darauffolgenden Nachkriegsjahren.

Haben wir den begangenen Völkermord verdrängt oder aufgearbeitet? Dieser Frage geht die Autorin Hinrike Zentgraf in ihrem Aufsatz "Nürnberg in Vergangenheit und Gegenwart" über die Nürnberger Prozesse (2013) auf den Grund. Dabei geht die Verfasserin des Textes insbesondere auf die Leistungen und Versäumnisse der eben genannten Prozesse ein. Im Folgenden sollen diese nun näher betrachtet werden.

Zu Beginn des vorliegenden Aufsatzes wird die Enttäuschung der Autorin darüber, dass der Völkermord und nicht der Holocaust im Fokus der Aufarbeitung stand, deutlich spürbar. Demnach ist diese Beobachtung an der "allgemein verbreiteten Bezeichung als 'Kriegsverbrecherprozesse'" (Z. 5/6) festzumachen. Dem gegenüber steht die Tatsache, dass das Statut des internationalen Militärtribunals (IMT) sich dem gewaltigen Ausmaß des nationalsozialistischen 'Verwaltungsmassenmordes' durchaus bewusst war, was sich wiederum an der Wahl des Tatbestandes "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" erkennen lässt. Allerdings beteuert Zentgraf zugleich, dass "(...) dieses Verfahren jedoch klar auf den verbrecherischen Charakter des zweiten Weltkriegs (aus)gerichtet (war)" (Z.10/11). Demzufolge seien "[...] im Hauptkriegsverbrecherprozess Verbrechen von Deutschen an Deutschen weitgehend ausgeklammert [worden]" (Z.11/12). Des Weiteren macht die Autorin darauf aufmerksam, dass die "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" während des Prozesses zunehmend an Bedeutung verloren, wodurch der Eindruck entstand, dass es sich bei dieser Angelegenheit erneut um ein Kriegsverbrehcen handele. Diese Illusion stieß zu diesem Zeitpunkt innerhalb der deutschen Bevölkerung auf mehr Akzeptanzs. Hierfür führt die Verfasserin den Grund an, dass diese Erscheinung dem "[...] deutlich geringerem Wissen über die Dimension und Systemhaftigkeit des Massenmordes" (Z. 16/17) geschuldet gewesen sein musste. Im Gegensatz dazu stellt "die öffentliche Feststellung und Anerkennung des Unrechtes durch die Nürnberger Prozesse [einen] wichtige[n] Schritt auf dem langen und umstrittenen Weg zu Wiedergutmachung und Versöhnung" (Z. 17/18) dar. Zudem bemängelt die Autorin, dass der Hauptkriegsverbrecherprozess nicht unter ausreichender Berücksichtigung des nationalsozialistischen Völkermordes und seiner Opfer stattfand. damit eng verbunden ist die Tatsache, dass den darauffolgendnen Prozessen keine weitere Beachtung seitens der Bevölkerung geschenkt worden ist, was der allgemeinen Verdrängungstendenz der frühen Nachkriegsjahre sowie den politischen Turbulenzen des Kalten Krieges angelastet werden kan.. Dass man "bei den Nürnberger Verfahren [...] keineswegs von einem Prozess für die Opfer sprechen [kann]" (Z. 27/28), lässt sich sowohl an der vorzeitigen Entlassung als auch an der Reintegration der Häftlinge in den 50er Jahren erkennen. Dennoch waren die Nürnberger Prozsse dafür verantwortlich, dass "[...] das NS-Regime heute vorbehaltlich als Unrechtsstaat anerkannt ist" (Z. 29/30). Dies sei insbesondere der akribischen Ermittlungsarbeit während der Prozesse zu verdanken (vgl. Z. 30f.). Abschließend erwähnt Henrike Zentgraf, dass der Leitgedanke der Nürnberger Prozesse darin bestand, gegen die Verbrechen des NS-Regimes vorzugehen, wenngleich diese zudem auch als universales Konzept ausgelegt wurden (vgl. Z. 34 f.), was die Eröffnungsrede des amerikanischen Chefanklägers Robert H. Jachson sehr genau verdeutlicht.

Aus dem bereits Erläutertem wird erkenntlich, dass die öffentliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit inn den 50er Jahren nur langsam in Gang kam. Ein Großteil der deutschen Bevölkerung wollte einen "Schlussstrich sowohl unter die politischen Säuberungen der Siegermächte als auch unter die NS-Zeit ziehen. Aus diesem Grund war die Aussage vieler Deutscher die selbe: "Ich habe doch von nichts gewusst!". Doch wieviel Wahrheit steckt in dier Äußerung?

Fest steht, dass während der NS-Zeit innerhalb der deutschen Gesellschaft durchaus Gerüchte über einen Massenmord an Juden im Umlauf waren, wenngleich keine öffentliche Propaganda vorlag. Dennoch nahm eine Großzahl der Deutschen Notiz von den Deportationen. Im Verlauf der Jahre lag ein deutlicher "Überdruss" an der Propganda der Nationalsozialisten vor: Keine ausreichende Überzeugungskraft sowie Gewaltbereitschaft zur Unterdrückung von Gerüchten in der Bevölkerung waren kennzeichnende Merkmale zu diesem Zeitpunkt. Gleichzeitig machte die Politik das Volk zu Mitwissern, was wiederum eine Passivität sowie einen Verdrängungsmechanismus der Deutschen zur Folge hatte. Im Hinblick auf die Deutschen und die Judenverfolgung wird deutlich, dass es sich um verschieden agierende "Typen" handelte: zum einen der Unterstützer, zum anderen der Nutznießer der Judenverfolgung, der Passive und der Unterstützer der Juden. Unterstützer der Judenverfolgung beteiligten sich aktiv an Maßnahmen und Ausübung von Gewalt. In diesem Zusammenhang bereicherten sich Nutznießer auf Kosten der Juden, wohingegen Unterstützer den Juden Hilfe durch Zuwendungen leisteten. Somit lässt sich erkennen, dass es sehr differenzierte Gruppierungen gab, die in der NS-Vergangenheit mitwirkten. Demnach gestaltete sich nach Grad der Passivität auch der Grad des "Wissens". Infolgedessen hat die deutsche Bverölkerung sehr wohl offizielle Maßnahmen mitbekommen. Demnach ist die Aussage der Unwissenheit nicht tragbar. Dennoch ist die NS-Vergangenheit besonders in den 50er und 60er Jahren mehr verdrängt, verschiwegen oder verleugnet worden als in anderen Jahrzehnten. "Eine Vergangenheit bewältigen heißt, sie nicht ignorieren, heißt, nicht die Augen vor ihr zu verschließen, sondern heißt, sie herzhaft anpacken, der Wahrheit in sAuge schauen und alles tun, damit sich das Unheil nicht wiederholt." Mit diesen Worten von dem CDU-Abgeordnete Ferdinand Friedensburg aus dem Jahr 1960 wird selbst in unserer aktuellen Zeitgeschichte im Hinblick auf den sich entwickelnden Rechtspopulismus umso mehr die Bedeutsamkeit dieser Aussage deutlich.

Clara Schumacher

(Grundlage: Abituraufgabe Geschichte 2016 Semester 11/2)