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Variante 1: Aspektorientierte Gliederung
A. Ein unruhiger Geist
B. Erschließung und Interpretation: Die Entscheidung, nach Venedig zu fahren
1. Distanziert wirkender Erzähler mit Innensicht
2. Rhetorische Fokussierung der Entscheidung
a. Enttäuschung im ursprünglichen Ferienziel
b. Venedig als einzige Lösung
3. Stark gerafftes Erzählgeschehen
4. Darstellung des Entscheidungsablaufes
a. Vorbereitung in München (1-9)
b. Aufenthalt auf Adria-Insel (10-17)
c. Entscheidungsfindung: Venedig (17-40)
C. Fazit: Die Entscheidung Gustav von Aschenbachs in Thomas Manns "Komposition"
Anmerkung: Eine aspektorientierte Gliederung kann natürlich auch Inhalt und Aufbau, hier als 4. Punkt in den Hauptteil gesetzt, am Beginn des Hauptteils abhandeln. Oft ist das logischer und einleuchtender.
Beispiel für eine Ausführung:
Der Schriftsteller Gustav von Aschenbach wird von Thomas Mann in seiner Novelle "Der Tod in Venedig" als unruhiger Geist dargestellt. Besonders deutlich wird das zu Beginn des dritten Kapitels, als von Aschenbach erst den Aufenthalt auf einer Adria-Insel sucht, dann abbricht, um schließlich festzustellen, dass Venedig der einzig mögliche Zielpunkt seiner Sehnsucht sein kann. Diese Entscheidungsfindung ist auch sprachlich deutlich herausgearbeitet.
Dabei nutzt Thomas Mann einen Er-Erzähler, der jedoch personal hinter den Protagonisten Gustav von Aschenbach zurücktritt, und aus Innensicht dessen Gedanken darzustellen vermag. Dennoch wirkt der Erzähler wie jemand, der das Treiben und die Gedankenwelt Aschenbachs zwar genau kennt, ihn aber dennoch distanziert und abgeklärt, geradezu analytisch verfolgt. Dazu trägt ganz wesentlich die sprachliche Darstellung bei, die Verwendung des distanziert wirkenden Präteritums als Erzähltempus, aber auch kleine Einschübe wie z.B. "endlich" in Z. 4 ("Er [= Aschenbach] gab endlich Auftrag, [...]"): Es ist ein Kommentar des Erzählers. In ihm wird deutlich, dass der Erzähler über die Schilderung des Geschehens und der Gedanken der Hauptfigur hinaus als Kommentator in Erscheinung tritt.
Diese Distanz des Erzählers bei gleichzeitiger Innensicht ermöglicht es, die Entscheidung nach Venedig zu fahren, auch sprachlich entsprechend zu fokussieren. Dass Aschenbach auf der Adria-Insel, die seinen Vorstellungen zuerst vollkommen zu entsprechen scheint (Z. 10-17), plötzlich unzufrieden ist, wird durch eine Gegenüberstellung ab Z. 17 illustriert, die durch "Allein" eingeleitet wird. Diese Gegenüberstellung mündet in den beiden rhetorischen Fragen Z. 28ff.; sie arbeiten heraus, dass Venedig als Reiseziel in der gegenwärtigen Situation Aschenbachs nicht nur eigentlich auf Hand liegt, sondern alternativlos ist.
Das Erzählgeschehen wird stark gerafft: mehrere Wochen mit zwei verschiedenen Schauplätzen (München, Adria-Insel) werden auf nur wenige Zeilen eingeschmolzen. Dennoch - und das ist eine Auffälligkeit, die aber durch die Innensicht des Erzählers erklärbar ist - werden alle relevanten inneren Beweggründe des Protagonisten geschildert.
Vor allem diese zeitliche Darstellung in Verbindung mit der Innensicht ermöglicht es, den Entscheidungsablauf knapp, aber effektiv darzustellen. Der erste Abschnitt (Z. 1-9) repräsentiert die - im oben erwähnten Kommentar des Erzählers als etwas zäh verlaufend beurteilten - Vorbereitungen des Aufenthalts in München und die Anreise. Im zweiten Abschnitt (Z. 10-17) wird klar, was Aschenbach sucht, nämlich das "Fremdartige und Bezuglose", das er nun auf der Adria-Insel zu finden scheint. Aschenbach registriert, dass er nicht dort angekommen ist, wo er sein wollte. Wie das sprachlich umgesetzt wird, wurde bereits analysiert. Die rhetorischen Fragen (Z. 28f.) stellen das inhaltliche Zentrum des dritten und entscheidenden Abschnitts dar. Sie dokumentieren, dass Aschenbach plötzlich bewusst wird, dass nur Venedig der Ort sein kann, der für ihn jetzt in Frage kommt, und der seine Unruhe stillen kann.
Thomas Manns Werke werden in der Literaturwissenschaft häufig als "Kompositionen" bezeichnet. Überlegt man, ob die Entscheidung Aschenbachs, nach Venedig zu fahren, dem Leser beispielsweise in einem weniger gerafften Geschehen ähnlich eindringlich hätte geschildert werden können, kann man rasch zu dem Ergebnis kommen, der Autor hat diese gestalterischen Mittel ganz bewusst und nach reiflicher Überlegung eingesetzt - wie ein Komponist seine Noten setzt. Denn die Raffung des Geschehens bei gleichzeitiger Sicht in die Gedankenwelt des Protagonisten führt dem Leser vor Augen, wie diese Entscheidung zu Stande kommt und welche Tragweite sie für von Aschenbach hat.