Mittelalter
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Was Sie schon immer über das Mittelalter wissen wollten (?), sich aber nie zu fragen trauten.
Am Montag, den 26. Januar, war Stefan Biessenecker von der Universität Bamberg für eine Doppelstunde bei uns zu Gast. In einer Mischung aus Vortrag und Fragerunde berichtete er Interessantes über neuere Forschung zum alten Mittelalter und von Themen, mit denen er sich intensiv auseinandergesetzt hat: „Lachen“ und „Nacktheit“ im Mittelalter.
Der Begriff „Mittelalter“
• Die Bezeichnung „Mittelalter“ wurde im „Mittelalter“ (natürlich) nicht als Epochenbegriff verwendet.
• Als die Humanisten das antike Kulturerbe wiederentdeckten, entstand „Mittelalter“ als Label für die Zeit zwischen Antike und ihrer Renaissance als („dunkle“) Mitte („dunkel“, weil das „Licht der Antike“ in den Augen der Humanisten verlorengegangen war).
• In Spanien lassen die Historiker das Mittelalter später beginnen und später enden.
• Die in den Schulbüchern gängige Unterscheidung zwischen „Lehnswesen“ und „Grundherrschaft“ ist eigentlich wenig sinnvoll.
Seelenheil und Klöster
• Das Fegefeuer ist eine mittelalterliche Erfindung. Die Erfindung eröffnete eine Möglichkeit, nach dem Tod der Verbannung noch zu entkommen.
• Durch die Beichte, Ablässe („wenn die Münze im Beutel klingt, deine Seele in den Himmel springt“) und Stiftungen konnte man das Seelenheil erlangen. Stiftungen stellten sicher, dass sich die Menschen auch nach dem Tod des Stifters noch fortwährend an ihn erinnerten.
• Als Beispiel für eine gelungene Stiftung gilt Bamberg. Stifter war Kaiser Heinrich II.; er stiftete ein ganzes Bistum und erachtete das als nötig, weil er keine Kinder hatte, die nach seinem Tod seiner hätten gedenken können. Mittlerweile gedenken die Bamberger ihrem Gründer seit einem Jahrtausend – wesentlich länger als eigene Kinder es hätten tun können.
• Beliebte Stiftungen waren auch Klöster. Dort beteten Mönche für das Seelenheil der Stifter.
• Das „Seelenheil“ hatte auch den Zweck, auf die große Masse der (unfreien) Bauern disziplinierend zu wirken. Sie verhielten sich so, wie sie sich verhalten sollten, um es zu erlangen.
• Klöster waren religiöse Orte, deren Charakteristika die Abgeschiedenheit von der Außenwelt, der Leitsatz „ora et labora“ und die keusche Lebensweise der Mönche bzw. Nonnen (in Frauenklöstern) waren.
• Ziel der Klöster war es, das „Himmelreich auf Erden“ nachzubilden.
• Nicht jeder, der im Mittelalter lesen konnte, konnte auch schreiben. Umgekehrt gab es Schreiber, die nicht lesen konnten: Sie zeichneten den Text mehr oder weniger genau ab. Nicht selten wimmelte es in den Texten von „Fehlern“.
• Grundsätzlich konnten sowohl arme Bauern als auch reiche Adelige in Klöster aufgenommen werden. Für Bauern war die Armut oft eine wichtige Motivation, den Weg ins Kloster zu gehen.
• Die Klöster bevorzugten Adelige, die ihr Vermögen mitbrachten. Es entwickelten sich Klöster für Arme und für Reiche.
• Der Abt eines Klosters wurde gewählt. Dabei durfte zuerst der Wähler mit dem höchsten Prestige (Ansehen) seine Stimme abgeben. Das ist für Wahlen im Mittelalter ebenso typisch wie die Tatsache, dass sich die anderen Wahlberechtigten dessen Votum in der Regel anschließen. In den Wahlen, so die verbreitete Ansicht, wirke der heilige Geist.
• „Reform“ bedeutet eigentlich „Rückführung zum Guten“.
Lachen innerhalb und außerhalb des Klosters
• Die Benediktiner-Regel sagt (u.a.) aus, dass ein Mönch schweigsam sein solle, verbietet „müßiges Geschwätz“ und das „Aufreißen“ des Mundes und weist den Mönch an, nicht zum Lachen zu verleiten.
• Trotz der klaren Regeln gibt es eine Vielzahl von Hinweisen darauf, wie in Klöstern gelacht wurde. Ein Bericht spricht davon, dass ein König einem Mönch, der während des Essens aus der Bibel lesen sollte, zum allgemeinen Amusement ein Goldstück auf die Zunge legte.
• In vielen mittelalterlichen Handschriften sprechen auch die Bilder am Rande des Textes eine eindeutige Sprache. Mönche werden in ihnen durch Tiere ersetzt: Ein Fuchs fungiert als Bischof, es treten ‚Epiphagen’ (Kopffüßer) auf, Affen bedrohen Bischöfe. So kann es auch passieren, dass in der unteren Ecke einer Klosterhandschrift ein Hahn auf einer Henne sitzt.
• Je exotischer die Tiere sind, desto schlechter sind sie heute wiederzuerkennen. Das Wissen über Affen hatten die Mönche mutmaßlich von antiken Autoren.
• Belustigend waren aber nicht nur die Zeichnungen am Rande des Texts, sondern auch kleine Kommentare neben den Zeilen. Wir fragen uns, ob für die Mönche nun der eigentliche Text oder die Zeichnungen und Anmerkungen am Rande interessanter waren.
• Aus der Lebensbeschreibung eines Abtes entnehmen wir, dass ein König einst auf die Idee kam, zur Belustigung einen Nackten mit Honig zu bestreichen, um dann Bären auf ihn loszulassen. Die Mönche tadelten den König, der den Schabernack darauf einsichtig abbrach.
• Das Fürstenportal am Bamberger Dom zeigt zur Rechten des in der Mitte thronenden Christi die „Geretteten“ und zu seiner Linken die „Verdammten“. Dort finden wir den Hinweis, dass auch Adelige in die Hölle kommen können.
• Überraschend ist, dass die Verdammten auf dem Fürstenportal auffällig lachen (an einigen Figuren kann man sogar die Zähne erkennen). Dieses Lachen kann als „verrückt“, „wahnsinnig“ und „gotteslästerlich“ gedeutet werden.
Über Nackte im Mittelalter
• Adam und Eva sind nicht nur am Feigenblatt zu erkennen, sondern auch daran, dass sie keinen Nabel haben (können). Die Bilder, die einen Nabel zeigen, sind eigentlich fehlerhaft.
• Im Mittelalter werden vor allem Heilige barfuß abgebildet. Sie folgen damit dem Vorbild Christi nach.
• Christus unterscheidet sich vom Heiligen durch die Stigmata. Heilige tragen zudem stets ein bestimmtes „Attribut“ mit sich (z.B. der hl. Laurentius einen „Grill“).
• Menschen werden im Mittelalter nicht nackt dargestellt, da die Körperlichkeit sündige Lust erwecken könnte.
• Mit dem Verlust der Nacktheit verlieren Adam und Eva die Kontrolle über ihren Geschlechtstrieb.
• Da Christus keine Erbsünde aufweist, kann er nackt dargestellt werden.
• In verschiedenen mittelalterlichen Quellen ist einerseits von „nackt“ die Rede, andererseits von „ganz nackt“. Das zeigt uns das Problem der Quelleninterpretation auf. Was unterscheidet „ganz nackt“ von „nackt“?