Aufsatz
Beispiel 1
(...) In Gotthold Ephraim Lessings tragischem Werk gerät die junge Protagonistin in die Fänge des Fürsten Hettore Gonzaga und wird am Ende - zur Wahrung ihrer Ehre - von ihrem eigenen Vater ermordet.
In der Vorgeschichte (V,5) eröffnet Marinelli Odoardo, dass Appiani vermutlich von Nebenbuhlern getötet wurde und Emilia von ihrer Familie getrennt werden müsste. Odoardo überkommt eine Welle aus Wut agesichts der Intrige und besteht darauf, mit Emilia unter vier Augen sprechen zu können. In seinem darauffolgenden Monolog geht hervor, dass er Emilia töten will, um ihre Ehre zu retten. Jedoch plagen ihn Bedenken bezüglich dieses Planes und er will das Schloss verlassen, als im selben Moment Emilia erscheint.
In der zu analysierenden Szene, welche im Lustschloss des Prinzen spielt, eröffnet Odoardo seiner Tochter, dass der Graf tot ist. Die Angst Emilias, den Verführungskünsten des Prinzen zu unterliegen, treibt Odoardo schließlich zum Mord an seiner Tochter. Am Ende der Szene lobt Emilia ihren Vater für diese Tat.
Odoardo will gehen und sieht Emilia kommen. Emilia initiiert das folgende Gespräch mit Verwunderung, was an ihren zahlreichen Fragen deutlich wird: ,,Wie? Sie hier, mein Vater? - Und nur Sie? - Und meine Mutter? nicht hier? (...) und sie so unruhig, mein Vater?" (S. 68, Z. 21 ff.) Emilia berichtet ihrem Vater von ihrer Vorahnung, dass ihr Zukünftiger tot sei und mahnt ihn daraufhin zur Ruhe und Gelassenheit (vgl. S. 68, Z.29f.) Odoardo ist von dieser Einstellung seiner Tochter entsetzt und beichtet daraufhin, dass der Graf tot sei. (vgl. S. 68, Z. 31 ff.) Emilia fühlt sich in ihrer Vorahnung bestätigt und möchte aus dem Lustschloss des Prinzen flüchten, was für ihren Vater jedoch aussichtslos erscheint: ,,Fliehen? - Was hätte es dann für Not? - Du bist, du bleibst in den Händen deines Räubers." (S. 69, Z.11 f.) Zudem warnt er seine Tochter: ,,Denke nur: unter dme Vorwande einer gerichtlichen Untersuchung - o des höllischen Gaukelspieles! - reißt er dich aus unsern Armen und bringt dich zu Grimaldi." (S. 69, Z. 29 ff.) Emilia reagiert auf diese Aussagen ihres Vaters empört: ,,Reißt mich? bringt mich? - Will mich reißen, will mich bringen: will! will! - Als ob wir, wir keinen Willen hätten, mein Vater!" (S. 69, Z. 33 ff.) Sodann fordert Emilia den Dolch ihres Vaters, da sie fürchtet, sie könne den Verführungen des Prinzen nicht widerstehen und in der folge ihre Unschuld verlieren. (vgl. S. 70, Z.5 ff.) Odoardo ist von der Absicht seiner Tochter anfangs abgeneigt, lässt sich aber durch ihre Aussage ,,Ehedem wohl gab es einen Vater, der, seine Tochter von der Schande zu retten, ihr den ersten, den besten Stahl in das Herz senkte - ihr zum zweiten das Leben gab. Aber alle solche Taten sind von ehedem! Solche Väter gibt es keine mehr!" (S. 70, Z. 34 ff.) verleiten, an seiner väterlichen Fürsorge zu zweifeln. Schließlich bringt Odoardo seine Tochter um, wofür er von ihr Anerkennung und Lob erhält: ,,Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert. - Lassen Sie mich sie küssen, diese väterliche Hand." (S. 70, Z.42 f.) Mit dieser Handlung endet die Szene.
Emilia übernimmt in dieser entscheidenden Szene die Gesprächsinitiative und bestimmt die Gesprächsthemen. Hieraus ist es auch zu erklären, dass der größere Anteil dieses Gespräches mit ihrem Vater bei Emilia liegt und diese v.a. im zweiten Teil des Dialoges die Führung im Gespräch übernimmt.
Emilia ist eine Bürgerliche, die das Heiratsalter erreicht hat. Aufgrund der Tatsache, dass sie beim männlichen Geschlecht Begeisterungsstürme auslöst, zeigt sich, dass sie sehr hübsch ist. In der Rolle der Tochter von Odoardo Galotti sieht sie es notwendig ihrem Vater untergeordnet zu sein und ihm Gehorsam zu leisten. Emilia ist streng religiös und bemüht sich, die gesellschaftliche Moral nicht zu verletzen. Da sie fürchtet, den Verführungen des Prinzen nicht widerstehen zu können, möchte sie Selbstmord begehen, was ihre ängstliche und fromme Haltung unterstreicht. Im Laufe des Gesprächs wird deutlich, dass Emilia auch eine andere Persönlichkeit aufweist, da sie ihrem Vater oft widerspricht (S. 69, Z. 15 ff.). Zudem stellt sie Forderungen an Odoardo Galotti und zieht seine Aussagen ins Lächerliche, was bisher von Emilia vermieden wurde. Letztendlich schafft sie s durch ihre bedachte Ausdrucksweise, dass Odoardo sie umbringt und somit ihren Wunsch erfüllt. So erlebt Emilia im Verlauf der Szene eine Wandlung, da sie sich aus den Fängen der väterlichen Autorität befreit und ihren eigenen Willen entwickelt. Bisher stand sie unter der Kontrolle ihres Vaters und bemühte sich stets, seinen Anweisungen zu folgen.
Odoardo Galotti ist Oberst und der Vater Emilias. Im Verlauf der Szene wird deutlich, dass er seine Rolle als guter Vater sehr ernst nimmt und sich um das Wohl von Emilia sorgt. Das zeigt sich in seiner Absicht, den Prinzen und Marinelli zu töten und Emilia von ihrem Mordgedanken abzubringen. Zudem sieht er die Ehre seiner Tochter gefährdet, weshalb er sie am Ende umbringt. Nachdem er seine Tochter erstochen hat, erfasst ihn eine Welle aus Trauer und Reue, was seine Liebe zu Emilia Galotti verdeutlicht. Odoardo Galotti durchläuft während der Dramenszene eine Wandlung vom ehrenvollen und stolzen Vertreter des damaligen Bürgertums zum fürsorglichen und untergeordneten Vater.
Im weiteren Handlungsverlauf wird Odoardo von dem Prinzen für seine Tat als ,,Teufel" bezeichnet und er fordert ihn auf, für immer aus seinen Augen zu treten. Aufgrund dieser Reaktion des Prinzen, wird deutlich, dass ihm in der Situation bewusst wird, dass er mit dem Tod Emilias auf seine ,,große Liebe" verzichten muss, und begegnet ihrem Vater deshalb mit Wut und Hass.