Kriegsalltag: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 7. Juli 2008, 20:36 Uhr
Da viele Familienväter an der Front kämpften, musste die Jugend deren Aufgabe zu Hause übernehmen.
Später wurden viele einberufen, um zum Beispiel als Flakhelfer das Land zu verteidigen. Einige kämpften sogar an der Front.
Inhaltsverzeichnis |
Ausgangslage
- Wunsch des "Tausendjährigen Reiches" ohne Jugend nicht durchführbar
- Absolute Ausrichtung der Jugend auf das Regime
- Mitgliedschaft in Organisationen wie HJ / BDM
- Verbot anderer Jugendorganisationen bis 1935
- Ideale: Aufopferungsbereitschaft, Wehrhaftigkeit, Volksgemeinschaft
"Die HJ will sowohl die Gesamtheit der Jugend, wie auch den gesamten Lebensbereich des jungen Deutschen erfassen."
(Hans-Helmut Dietze: Die Rechtsgestalt der Hitler-Jugend, Berlin 1939, S. 88; zitiert nach Arno Klönne: Jugend im Dritten Reich, Lizenzausgabe München 1995, S. 19)
- Körperliche Ertüchtigung stand im Vordergrund, weniger geistige Bildung
- Erziehung von Soldaten für den kommenden Krieg
"Was sind wir? Pimpfe! Was wollen wir werden? Soldaten!"
(Motto des Jungvolks nach Michael H. Kater: Hitler-Jugend. Darmstadt 2005, S. 30)
- Wehr- und Reichsarbeitsdienstgesetz von 1935: Wehr- und Arbeitsdienst sind Ehrendienst am Deutschen Volk
auch auf Jugend anwendbar
- Jugend übernimmt allmählich Funktion von Erwachsenen
Während des Krieges
Erziehung zur Wehrhaftigkeit nimmt an Bedeutung zu:
- Geländesportlehrgänge des Reichkuratoriums für Jugendertüchtigung
- Jugend soll verstehen: Wehrdienst ist höchste vaterländische Pflicht und Ehrensache
nach und nach werden immer mehr Mädchen und Jungen einberufen
Tätigkeiten an der Front
- Jugend wurde zuerst meist für logistische Zwecke eingesetzt (z.B. Aufbau von Schanzanlagen und Flughäfen)
- Arbeitseinsätze meist als Vorwand, um Eltern nicht zu beunruhigen
- Kurze Kampfausbildung und schnelle Integration in den Krieg
- Hitler Jugend bildeten in West und Ost Kampftruppen
- Tätigkeit als Panzerbrecher und Flakhelfer
Junge Flakhelfer
- 1942 wurden 120`000 Mann der Heimatflak an die Front beordert
- ab April 1942 Auffüllung der Heimatflak mit HJ-Angehörigen (freiwillig oder mindestens 17 Jahre alt)
- ab Januar 1943 Einzug von Schülern auch gegen ihren Willen
- Verluste an den Fronten >> Einberufung der Jugend in die Wehrmacht
- Sommer 1943: SS-Panzerdivision "Hitlerjugend"
- Antrieb:
- verschiedene Abzeichen und Auszeichnungen, die zum Teil von Hitler selbst übergeben wurden
- (z.B. Panzervernichtungsabzeichen, Infanteriesturmabzeichen, Verwundetenabzeichen)
- Einberufung der Jugendlichen:
- 1941/42 mussten 18-jährige Soldat werden
- 1943/44 17-jährige werden einberufen.
- ab 1944 mit 16 Jahren
- vor dem Krieg: Wehrdienst mit 19 Jahren
In der Heimat
- große Hungersnot
- Ängste und Sorgen um Angehörige
- Bombenangriffe der Alliierten
- ständiger Terror der Allierten zur Demoralisierung der einfachen Bevölkerung auf dem Land
Kontrast zwischen Kriegsverherrlichung der NSDAP und der Realität
Augenzeugenberichte zweier Jugendlicher
Leben an der Heimatfront
Margaretha Hauke wurde am 19. 8. 1934 in Hausen bei Schweinfurt geboren und erlebte das Kriegsgeschehen in der Heimat hautnah mit.
Die Häuser in der Nachbarschaft wurden für Kriegszwecke umfunktioniert. So befanden sich eine Feldküche und eine Verwaltungsstube darin. (...)
An einem Tag im März wurde ein schwer verwundeter Soldat angeliefert, der im Kampf eine schwere Beinverletzung davongetragen hatte. Ihm wurde das Bein auf dem Küchentisch eines Nachbarn abgenommen. Ich höre jetzt noch, wie der junge Mann vor Schmerz nach seiner Mutter rief. Gerade für uns Kinder war dies ein schreckliches Erlebnis. Dieser Mann wurde, als er nur wenige Tage darauf verstorben war, in unserer Scheune auf ein Feldbett gebart. Wir Kinder hatten solche Angst, dass wir uns selbst Monate nach diesem Vorfall nicht in die Scheune getraut haben. (...)
Schweinfurt war aufgrund seiner Kugellagerindustrie oft Ziel von alliierten Bombergeschwadern gewesen. Oft sahen wir den rot glühenden Himmel über der brennenden Stadt Schweinfurt. So kam es nicht selten vor, dass bei uns in Hausen die Sirenen heulten und wir alle in einen Rübenkeller im Dorf fliehen mussten. (...)
Besonders gut ist mir der Tag meiner Kommunion in Erinnerung geblieben. Ich hatte ein weißes Kleid an, das wir uns von meiner älteren Cousine geliehen haben; die Schuhe wurden mit weißen Stoffresten beklebt. Wir waren gerade auf dem Weg zur Kirche, als Tiefflieger kamen. Sie hätten gerade wegen meines weißen Kleides auf uns aufmerksam werden können, doch meine Mutter packte mich geistesgegenwärtig, warf mich in den Straßengraben und legte sich mit ihren schwarzen Mantel auf mich. Der Gottesdienst wurde so schnell wie nur möglich abgehalten. Die Alliierten bombardierten auch die ländliche Umgebung um die Bevölkerung kriegsmüde zu machen - das Dorf Hausen wurde aber nie direkt getroffen. Während des Gottesdienstes vibrierten die Kirchenscheiben, und heulten die Luftsirenen. Ich habe noch genau das dumpfe Summen der Bomberrotoren in den Ohren und noch heute läuft mir beim Klang einer Feuerwehrsirene ein Schauer über den Rücken. (...)
Positive Erinnerungen an die Zeit habe ich keine; wir hatten nichts, was für die Kinder heute selbstverständlich ist - keine Milch, Butter, geschweige denn Zucker oder Süßigkeiten. Ich erinnere mich an die Zeit voller Angst und Leid zurück und hoffe, dass dir und deinen Nachkommen solche Erfahrungen erspart bleiben. (...)"
Margaretha Hauke
Analyse
Der Text behandelt die Kriegsgeschehnisse im 2. Weltkrieg an der Heimatfront. Er beruht auf einer mündlichen Überlieferung von Margaretha Hauke an ihren Enkel. Sie erlebte den Krieg im Alter von sieben Jahren hautnah mit. In ihrer Heimat, einem kleinen mainfränkischen Dorf bei Schweinfurt, musste sie die Zerstörung von Schweinfurt mit Kindesaugen ansehen.
Ihr Bericht weicht von den übrigen Kriegsberichten ab, sie erzählt aus der Perspektive eines Kindes, zeigt mit ihrem Bericht nicht weniger die Probleme der einfachen Landbevölkerung, ihr Leid, den ständigen Terror der Alliierten, der die Bevölkerung kriegsmüde machen sollte. Besonders wird die Grausamkeit des Krieges in der Erzählung über den Verwundeten deutlich. Der Text handelt das Kriegsgeschehen nicht einfach wie ein Sachtext ab, zeigt eben aufgrund seiner Subjektivität den wahren Krieg, nicht von der politischen oder strategischen Seite. Gerade deswegen sind solche Zeitzeugenberichte für die Nachwelt von großer Bedeutung. Sie zeigen die persönlichen Erfahrungen eines jeden Einzelnen, der einfachen Bevölkerung. Diese Texte stellen somit aufgrund wegen der anderen Erzählperspektive ein wertvolles Zeitdokument dar.
Frau Hauke beginnt ihren Bericht mit allgemeinen Informationen über den Handlungsort, die Handlungszeit und die beteiligten Personen. Sie verdeutlicht daraufhin ihre Kriegserlebnisse an konkreten Erlebnissen, die sie im Krieg machen musste, wie das Erlebnis mit dem verwundeten Soldaten oder den Bombenangriffen. Hier wird besonders Leid und Schrecken deutlich, welche Frau Hauke mit ihrer Familie erleben musste. Der Bericht beschränkt sich eindeutig auf die Schilderung des Kriegsgeschehens des 2. Weltkrieges an der Heimatfront in einem kleinen mainfränkischen Dorf - von anderen innenpolitischen oder gar außenpolitischen Geschehnissen ist dagegen keine Rede. Deswegen sollte die Quelle immer im Bewusstsein gelesen werden, dass sie die wahren Geschehnisse nur einseitig darstellt. Margaretha Hauke berichtet subjektiv über die Kriegserlebnisse, der Schrecken des Krieges ließ jede Ideologie verblassen, sie spricht sich eindeutig gegen den Krieg aus.
Der Text wurde von Sebastian Hauke verfasst, einem Enkel von Frau Hauke. Er bemühte sich sowohl bei seinen Notizen während der Unterhaltung mit Frau Hauke als auch bei Ausformulierung sachlich neutral zu bleiben und den Bericht so wenig wie nur möglich zu verfälschen.
Erfahrungen an der Kriegsfront
Erich Hauke wurde am 20.10.1924 in Niederwitz Grottgau / Schlesien geboren. Als Erichs Vater Josef am 17.11. 1938 in einem Steinbruch ums Leben kam, wurde Erich Hauke im Alter von 14 Jahren nach Berlin zu seinem Bruder geschickt, wo er in die Lehre ging.
Wir jungen Soldaten hielten es erst für einen ungewöhnlichen Brauch, dass gerade vor schweren Kampfeinsätzen Unmengen von "scharfem" Alkohol ausgegeben wurde. Kein Soldat war mehr nüchtern gewesen. Und erst mit der Zeit wurde mir klar, dass man diese Hölle nur mit Alkohol durchstehen kann. Es war ein Kampfmittel, das alles unreal erschienen ließ – alles erschien wie eine Traumwelt. So konnten wir das ausführen, was uns befohlen worden ist. (...)
Ich wurde mehrmals verwundet, hatte immer sehr großes Glück. Mit einem Lungenschuss, einem Schuss in den Hals und Granatsplittern im Rücken wurde ich ins Lazarett Scharkow eingeliefert. Ein paar Splitter trage ich noch heute mit mir herum. (...)
In Ungarn haben wir Weinfässer, die von der Bevölkerung eingegraben worden waren, aufgespürt und deren Wein getrunken. Die Kampfhandlungen waren einst ein sinnloses Hin und Her. Erst haben wir die Gänse der Russen an Weihnachten( 24.12.1942) geklaut, am 6.1. - dem orthodoxen Weihnachtsfest - haben sie unsere genommen. Ein Weihnachtsfest ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Wir waren im Kessel, von Russen umzingelt. Es war eine gedrückte Stimmung in der Mannschaft. Am heiligen Abend ließen uns die Russen, wohl aus religiösem Respekt oder aus Menschlichkeit oder weil sie genau wussten, dass es bis zur Kapitulation nicht mehr allzu lange dauern würde, in Ruhe. Einer meiner Kameraden wählte in dieser auswegslosen Situation den Freitod. Er tötete sich mit dem Rückschlag einer Panzerfaust, die er sich vor den Bauch hielt und abdrückte. Es war ein schlimmes Erlebnis für uns alle. (...)
Die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Jeweils täglich, wenn wir uns zum Appell aufstellten, konnten wir das Ungeziefer d.h. Läuse, Flöhe ... am Kopf des Vordermannes beobachten, wie es - wie Ameisen - umherkrabbelte. Wir aßen tagelang nur Kohlsuppe, bis sie uns aus den Ohren kam. Doch es gab auch Tage, an denen das Essen ausblieb. (...)
Doch ich habe schöne Erlebnisse in der damaligen Zeit gemacht. Es gab eine Kameradschaft zwischen uns, wie sie die heutigen jungen Leute kaum kennen dürften. Wir haben im Herbst und Winter aus Schutz vor der Witterung Löcher gegraben, die Panzer darüber gefahren und unter den Panzern geschlafen, der Motor wärmte schließlich noch nach; im Sommer schliefen wir auf Wiesen unter den Sternen. Der Krieg schweißte uns zusammen, wir standen füreinander ein. Schließlich wurden wir von den Russen eingekesselt und mussten kapitulieren. Die Ideologie, Kampf bis zur letzten Patrone, die wir für uns selbst aufheben sollten war uns in den langen Kriegsjahren fremd geworden.(...) Während des Krieges wurden die Soldaten mit Eisenbahnwagons transportiert und es war üblich, dass Mädchen Adressen für Feldpostbriefe auf die vorbeifahrenden Züge warfen. Auch ich hatte eine solche Adresse erhalten. Nach dem Krieg wurden wir vor die Wahl gestellt. Wir hatten die Wahl, in verschiedenen Regionen in Deutschland beim Wiederaufbau zu helfen. Ich hatte die Adresse eines jungen Mädchens aus Mainfranken im Zug zugeworfen bekommen, die ich in meiner Brusttasche aufbewahrte. Wir waren zu diesem Zeitpunkt in Braunau / Österreich. Ich wusste nicht was ich tun sollte, lag die ganze Nacht wach auf einer Wiese unter den Sternen. Und ich beschloss nach Mainfranken zu laufen- zusammen mit 2 anderen Kameraden, um endlich frei zu sein. Dort lernte ich in Hausen meine spätere Frau kennen...“
Erich Hauke
Analyse
Der Zeitzeugenbericht von Erich Hauke stellt die Erlebnisse eines jungen Mannes an der Ostfront des 2. Weltkrieges dar. Mit Ausnahme des Erzählers selbst werden im Bericht keine weiteren Personen namentlich genannt.
Herr Hauke berichtet eindrucksvoll von seinen persönliche Erlebnissen an der Front, vom Zeitpunkt seines Einzuges bis zur Kapitulation. Der Text stellt den Krieg, ähnlich wie der seiner Frau aus der Perspektive eines einzelnen Betroffenen dar. Auch Herr Hauke beschränkte sich auf seine eigenen Erlebnisse, innenpolitische, andere außenpolitische oder strategische Aspekte werden kaum oder gar nicht angesprochen. Gerade Zeitzeugenberichte stellen für uns bedeutende Dokumente dar. Sie beschreiben persönliche Kriegserlebnisse, wie sie in Erinnerung geblieben sind. Die Erzählungen der älteren Generation an die jüngere tragen zum besseren Verständnis des Krieges bei, weil sie subjektiv, aus der Sicht eines Betroffenen, sind. Im Fall von Herrn Hauke handelt es sich um einen konkreten Erlebnisbericht vom Frontalltag, der beitragen könnte, wieder einen kleinen Teil der damaligen Zeit mit ihrer Ideologie und Organisation zu verstehen.
Herr Hauke beginnt seinen Bericht ab dem Zeitpunkt, als er in Berlin eingezogen wurde. Er berichtet chronologisch, wie aus ihm und seinen gleichaltrigen Kameraden kriegserfahrene Soldaten wurden. Er berichtet sowohl von den hygienischen Missständen, als auch von der schlechten Verpflegung, die die Soldaten noch zusätzlich belasteten. Die Grausamkeit des Krieges wird im Bericht nur teilweise angesprochen, Erich Hauke hat nie über seine Erfahrungen im Gefecht berichten wollen.
Doch Herr Hauke hat im Gegensatz zu seiner Ehefrau, neben negativen, auch positive Erinnerungen an den Krieg in Erinnerung behalten. Er beschränkt sich nicht nur auf die Grausamkeit des Krieges, sondern berichtet auch über die erfahrene Kameradschaft.
Auch Erich Hauke ist, wie seine Frau, im Laufe des Krieges durch seine Erlebnisse von der Ideologie der Nazis abgefallen, mit der er von Kindesbeinen an aufgewachsen ist.
Dieser Beicht beruht auf Erinnerungen an Erzählungen von Erich Hauke, der im vergangenen November verstorben ist. Sebastian Hauke hat dennoch in Zusammenarbeit mit Margaretha Hauke versucht, die Berichte seines Großvaters so gut wie nur möglich aufzuarbeiten und unverfälscht darzustellen.