Der Sandmann: Unterschied zwischen den Versionen
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E.T.A. Hoffmann beginnt die Erzählung mit drei Briefen, von denen zwei von Nathanael an Lothar und einer von Clara an Nathanael gerichtet waren. Er begründet diese Form des Einstiegs mit der Aussage, dass ihm kein einziges Wort aussagekräftig genug erschien. So war ihm beispielsweise der typische Einstieg „Es war einmal...“ (S.19, Z.5f.) zu nüchtern. Er fand keine Rede, die „nur im mindesten etwas von dem Farbenglanz des innern Bildes [Nathanaels] abzuspiegeln schien“ (S.19, Z.15ff.). So fasste er den Entschluss, erst gar nicht anzufangen. Stattdessen sollen die Briefe dem Leser die innere Gestalt dieser Person nahe bringen und als „Umriss des Gebildes“ (S.19, Z.19) fungieren. Um seine Vorgehensweise veständlich zu machen, bedarf es einer genaueren Untersuchung der Erzählperspektiven. So agiert er zu Beginn als neutraler Erzähler, der die Figuren zu Wort kommen lässt und selbst kaum identifiziert werden kann. Damit werden dem Leser die Gefühle der einzelnen Charaktere ungefiltert präsentiert und führen dazu, dass sich dieser besser in die Gefühls- und Gedankenwelt der verschiedenen Akteure hineinversetzen kann. Nach den Briefen wechselt er seine Rolle; er spricht nun als auktorialer Erzähler den Leser direkt an, rechtfertigt sein Vorgehen und hebt seine Position somit stark hervor. | E.T.A. Hoffmann beginnt die Erzählung mit drei Briefen, von denen zwei von Nathanael an Lothar und einer von Clara an Nathanael gerichtet waren. Er begründet diese Form des Einstiegs mit der Aussage, dass ihm kein einziges Wort aussagekräftig genug erschien. So war ihm beispielsweise der typische Einstieg „Es war einmal...“ (S.19, Z.5f.) zu nüchtern. Er fand keine Rede, die „nur im mindesten etwas von dem Farbenglanz des innern Bildes [Nathanaels] abzuspiegeln schien“ (S.19, Z.15ff.). So fasste er den Entschluss, erst gar nicht anzufangen. Stattdessen sollen die Briefe dem Leser die innere Gestalt dieser Person nahe bringen und als „Umriss des Gebildes“ (S.19, Z.19) fungieren. Um seine Vorgehensweise veständlich zu machen, bedarf es einer genaueren Untersuchung der Erzählperspektiven. So agiert er zu Beginn als neutraler Erzähler, der die Figuren zu Wort kommen lässt und selbst kaum identifiziert werden kann. Damit werden dem Leser die Gefühle der einzelnen Charaktere ungefiltert präsentiert und führen dazu, dass sich dieser besser in die Gefühls- und Gedankenwelt der verschiedenen Akteure hineinversetzen kann. Nach den Briefen wechselt er seine Rolle; er spricht nun als auktorialer Erzähler den Leser direkt an, rechtfertigt sein Vorgehen und hebt seine Position somit stark hervor. | ||
− | 2. Mehrmals im Buch wird der Leser direkt angesprochen. Welche Funktion hat das? Ist das etwa "romantische Ironie"? | + | ==== 2. Mehrmals im Buch wird der Leser direkt angesprochen. Welche Funktion hat das? Ist das etwa "romantische Ironie"? ==== |
+ | Der Leser wird im Buch an zwei Stellen angesprochen. Zum ersten Mal auf den Seiten 17 Zeile 32 bis Seite 19 Zeile 29. Hier geht der Sprecher aus der Erzählung heraus und verifiziert zu Beginn die Geschichte als wahr, indem er sich auf seinen Freund Lothar bezieht. Dieser war wiederum ein Freund Nathanaels. Anschließend versucht er den Leser auf emotionaler Ebene zu fesseln und ihn mit bildlicher Sprache und gefühlsbetonten Formulierungen für das Wunderliche und Abnormale zu sensibilisieren. | ||
+ | Daraufhin will der Sprecher dem Leser seine Vorgehensweise beim Verfassen des Textes verdeutlichen. Dabei spricht er vor allem die Schwierigkeiten an, die ihm das Schreiben des Anfangs bereitete. | ||
+ | Zum zweiten Mal wird der Leser auf den Seiten 38 Zeile 24 bis Seite 39 Zeile 34 angesprochen. Die Textstelle hat die Funktion eines retardierendes Momentes. Der Erzähler blickt aus der Erzählung heraus, indem er das weitere Leben des Spalanzani, der eigentlich bereits aus der Geschichte ausgeschieden ist, schildert. Er berichtet, dass das Geschehen Erschütterung und Skepsis in der Gesellschaft hervorgerufen hatte, die sowohl Spalanzani als auch Coppola gezwungen haben, zu fliehen. Erst im Anschluss nimmt der Sprecher die Erzählung von Nathanael wieder auf. | ||
− | 3. Warum und wann verschwimmen in „Der Sandmann“ Realität und Nachtseiten des Lebens von Nathanael? | + | Die romantische Ironie in beiden Textstellen kommt zum einen dadurch zum Ausdruck, dass der Erzähler auktorial, also allwissend, berichtet. Dies steht im Gegensatz dazu, dass er – wie er selbst sagt - die Geschichte lediglich aus zweiter Hand erfahren habe (S.17/Z.32- S18/Z.1). Zum anderen unterbricht der Verfasser die Verlaufsform der Erzählung und verwendet den für die Schwarze Romantik so charakteristischen Tempuswechsel vom Präteritum ins Präsens, indem er den Leser direkt anspricht. Dies erzeugt für die sich in temporaler Logik abspielende Handlung einen Schnitt, der ebendiese Logik durchbricht und dem Leser damit gleichzeitig mitteilt, dass alles nicht wahr ist (Romantische Ironie). |
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+ | ==== 3. Warum und wann verschwimmen in „Der Sandmann“ Realität und Nachtseiten des Lebens von Nathanael? ==== | ||
Zu Anfang des Buches beobachtet Nathanael seinen Vater mit Coppelius bei Experimenten in der Stube des Vaters( S. 9 ). Wegen der Ammenmärchen über den Sandmann hält Nathanael Coppelius für diesen. Als Nathanael aus seinem Versteck hervorkommt, schildert er dem Leser, wie Coppelius nach seinen Augen verlangt, um sie in das Feuer zu werfen, das auf einem Herd im Wandschrank lodert. Sehr realitätsfremd wirkt es, als Nathanael erzählt, dass Coppelius ihm Hände und Füße abschraubt und sie an umgekehrter Stelle wieder anfügt (S. 10). Von diesem Zeitpunkt an glaubt Nathanael noch fester daran, dass Coppelius der Sandmann sein muss. Der Sandmann bzw. Coppelius sucht ihn immer wieder in seinen Träumen und seiner Einbildung heim. Dieses wird ihm auch durch den Tod des Vaters durch Coppelius bestätigt (S.11). Als ihn später dann der Wetterglashändler Giuseppe Coppola zu ihm kommt, der Coppelius ähnlich sieht, hält er diesen für den Sandmann, der sein Liebesglück zerstören will. Bei diesem Besuch präsentiert er Nathanael seine Ware, indem er sie auf den Tisch legt. Er verkauft nicht nur Wettergläser sondern auch Brillen und Perspektive ( S. 27). | Zu Anfang des Buches beobachtet Nathanael seinen Vater mit Coppelius bei Experimenten in der Stube des Vaters( S. 9 ). Wegen der Ammenmärchen über den Sandmann hält Nathanael Coppelius für diesen. Als Nathanael aus seinem Versteck hervorkommt, schildert er dem Leser, wie Coppelius nach seinen Augen verlangt, um sie in das Feuer zu werfen, das auf einem Herd im Wandschrank lodert. Sehr realitätsfremd wirkt es, als Nathanael erzählt, dass Coppelius ihm Hände und Füße abschraubt und sie an umgekehrter Stelle wieder anfügt (S. 10). Von diesem Zeitpunkt an glaubt Nathanael noch fester daran, dass Coppelius der Sandmann sein muss. Der Sandmann bzw. Coppelius sucht ihn immer wieder in seinen Träumen und seiner Einbildung heim. Dieses wird ihm auch durch den Tod des Vaters durch Coppelius bestätigt (S.11). Als ihn später dann der Wetterglashändler Giuseppe Coppola zu ihm kommt, der Coppelius ähnlich sieht, hält er diesen für den Sandmann, der sein Liebesglück zerstören will. Bei diesem Besuch präsentiert er Nathanael seine Ware, indem er sie auf den Tisch legt. Er verkauft nicht nur Wettergläser sondern auch Brillen und Perspektive ( S. 27). | ||
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+ | ==== 4. Für Nathanael spielen Augen eine große Rolle. Wie ist das zu verstehen? ==== | ||
− | + | „Das Auge ist nicht nur das Organ der visuellen Wahrnehmung (und in übertragenem Sinn, das der Erkenntnis schlecht hin), seit der Antike gilt es auch als Spiegel der Seele. Beim Streit um Olimpia werden beide Bedeutungen gegeneinander ausgespielt.“( Rudolf Drux, S.69) | |
+ | Nathanael definiert positive oder negative innere Werte anderer Personen über ihre Augen. So verbindet er den grimmigen Blick des Advokaten Coppelius mit der traumatischen Angst vor dem Sandmann. Obwohl Olimpia ein „lebloser Automat“ ist, assoziiert er ihre Augen mit innerer Schönheit. | ||
+ | Dies ist ein Widerspruch, da Coppelius gestohlene Augen verwendet hat, um die Puppe zu vervollständigen. Das Motiv der Augen ist eng verbunden mit dem Motiv des Wahnsinns. Durch das Herausspringen der Augen aus der leblosen Olimpia nämlich, verfällt Nathanael dem Wahnsinn, welcher sein Schicksal besiegelt und ihn letztendlich in den Tod stürzt. Seine letzten Worte („ha! Sköne Oke, Sköne Oke“) greifen erneut das Augenmotiv auf, das alle entscheidenden Stationen im Drama entscheidend beeinflusst. Daher symbolisiert das Augenmotiv die übernatürliche Macht, die das Kommen und Gehen auf der Erde lenkt. | ||
+ | Somit stellen die Augen das Leitmotiv in Hoffmanns „Sandmann“ dar. | ||
− | 6. Wie stehen die Personen zueinander? Was bedeuten ihre Namen? | + | |
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+ | ==== 5. Welcher Typ von Frau ist Olimpia? Welches Frauenbild spricht aus der Erzählung? ==== | ||
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+ | Grundsätzlich wird Olimpia in E.T.A Hoffmans „Der Sandmann“ aus zwei verschiedenen Perspektiven beschrieben: | ||
+ | Anfangs beschreibt Nathanael Olimpia als eine Frau mit „verführerischem Anblick“ (S. 29, Z. 28) und einem „schön geformte[m] Gesicht“ ( S. 29, Z. 32). Allerdings scheinen ihm ihre Augen „seltsam, starr und tot“ ( S. 28, Z.33). Im Laufe der Geschichte ist Nathanael blind vor Liebe. Nathanael wird immer verrückter nach Olimpia und vergisst sogar Clara. Als er Olimpia küsst, spürt er, wie ihr „Puls schlägt und Blutströme glühen“ (S. 31, Z. 34f.). Bei Professor Spalanzani sieht Nathanael, wie sich der Professor mit Coppelius über Olimpia streitet. Nach einem Kampf zwischen den beiden werden Olimpia die Augen herausgerissen. Jetzt bemerkt Nathanael, dass seine Geliebte nur ein „Holzpüppchen“ (S 38, Z.18), ein Automat, ist. | ||
+ | Außenstehende sehen Olimpia aus einer anderen Sichtweise. So bemerkt Siegmund, dass Olimpia ein „Wachsgesicht“ (S. 34, Z. 4) besitzt. Weiterhin beschreibt er sie als „starr und seelenlos“ (S. 34, Z. 18). Durch „Ihr[en] Blick[...] ohne Lebensstrahl [...], ohne Sehkraft“ (S.34, Z.20f) und den „Gang eines aufgezogenen Räderwerks“ (S. 34, Z. 24), charakterisiert Siegmund sie als Automat . Sie ist den Außenstehenden „ganz unheimlich geworden“ (S. 34, Z.26), da „sie nur so wie ein lebendiges Wesen“ (S.34, Z. 27f) agiert. | ||
+ | Jetzt stellt sich die Frage, ob es ein klar definiertes Frauenbild in E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ gibt. Anhand von Olimpia lässt sich diese Frage nicht beantworten, doch anhand von Clara und Nathanaels Mutter lässt sich ein klares Frauenbild definieren. | ||
+ | Die Frau steht unter dem Mann. Dementsprechend muss sie ihm auch Respekt zollen. Dies merkt man, als die Mutter ihren Mann flehend „Vater, Vater“(S.11, Z.4) nennt. Wegen des Verantwortungsgefühls der Mutter für ihre Kinder (vgl. S.13, Z.37) , kümmert sich die Frau um die Kinder und den Haushalt. Deswegen verschweigt sie die alchemistischen Experimente des Vaters und des Advokaten Coppelius. Ein weiteres Beispiel des Frauenbildes ist die Abhängigkeit der Frau vom Mann. Clara bestätigt dies, indem sie immer wieder zu Nathanael zurückkehrt (vgl. S.40, etc.). | ||
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Im Verlauf der Erzählung gibt es keine Textstelle, die eindeutig aussagt, ob Coppola und Coppelius eine Person sind. Auch findet man wiederum keine Passage, die besagt, dass es sich um zwei unterschiedliche Personen handelt. Jedoch äußern sich mehrere Figuren der Erzählung zu dieser Frage. So schreibt beispielsweise Clara in ihrem an Nathanael gerichteten Brief, dass für sie Coppelius und Coppola nur Gespinste Nathanaels Fantasie seien. | Im Verlauf der Erzählung gibt es keine Textstelle, die eindeutig aussagt, ob Coppola und Coppelius eine Person sind. Auch findet man wiederum keine Passage, die besagt, dass es sich um zwei unterschiedliche Personen handelt. Jedoch äußern sich mehrere Figuren der Erzählung zu dieser Frage. So schreibt beispielsweise Clara in ihrem an Nathanael gerichteten Brief, dass für sie Coppelius und Coppola nur Gespinste Nathanaels Fantasie seien. | ||
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Ja, er ist am Ende wahnsinnig. Allerdings gibt es verschiedene Eskalationsstufen seines Wahnsinns. | Ja, er ist am Ende wahnsinnig. Allerdings gibt es verschiedene Eskalationsstufen seines Wahnsinns. |
Aktuelle Version vom 8. Februar 2012, 07:37 Uhr
FAQ zum "Sandmann" - beantwortet von Kurs 1d4
1. Der Anfang der Erzählung besteht aus drei Briefen. Was steckt dahinter?
E.T.A. Hoffmann beginnt die Erzählung mit drei Briefen, von denen zwei von Nathanael an Lothar und einer von Clara an Nathanael gerichtet waren. Er begründet diese Form des Einstiegs mit der Aussage, dass ihm kein einziges Wort aussagekräftig genug erschien. So war ihm beispielsweise der typische Einstieg „Es war einmal...“ (S.19, Z.5f.) zu nüchtern. Er fand keine Rede, die „nur im mindesten etwas von dem Farbenglanz des innern Bildes [Nathanaels] abzuspiegeln schien“ (S.19, Z.15ff.). So fasste er den Entschluss, erst gar nicht anzufangen. Stattdessen sollen die Briefe dem Leser die innere Gestalt dieser Person nahe bringen und als „Umriss des Gebildes“ (S.19, Z.19) fungieren. Um seine Vorgehensweise veständlich zu machen, bedarf es einer genaueren Untersuchung der Erzählperspektiven. So agiert er zu Beginn als neutraler Erzähler, der die Figuren zu Wort kommen lässt und selbst kaum identifiziert werden kann. Damit werden dem Leser die Gefühle der einzelnen Charaktere ungefiltert präsentiert und führen dazu, dass sich dieser besser in die Gefühls- und Gedankenwelt der verschiedenen Akteure hineinversetzen kann. Nach den Briefen wechselt er seine Rolle; er spricht nun als auktorialer Erzähler den Leser direkt an, rechtfertigt sein Vorgehen und hebt seine Position somit stark hervor.
2. Mehrmals im Buch wird der Leser direkt angesprochen. Welche Funktion hat das? Ist das etwa "romantische Ironie"?
Der Leser wird im Buch an zwei Stellen angesprochen. Zum ersten Mal auf den Seiten 17 Zeile 32 bis Seite 19 Zeile 29. Hier geht der Sprecher aus der Erzählung heraus und verifiziert zu Beginn die Geschichte als wahr, indem er sich auf seinen Freund Lothar bezieht. Dieser war wiederum ein Freund Nathanaels. Anschließend versucht er den Leser auf emotionaler Ebene zu fesseln und ihn mit bildlicher Sprache und gefühlsbetonten Formulierungen für das Wunderliche und Abnormale zu sensibilisieren. Daraufhin will der Sprecher dem Leser seine Vorgehensweise beim Verfassen des Textes verdeutlichen. Dabei spricht er vor allem die Schwierigkeiten an, die ihm das Schreiben des Anfangs bereitete. Zum zweiten Mal wird der Leser auf den Seiten 38 Zeile 24 bis Seite 39 Zeile 34 angesprochen. Die Textstelle hat die Funktion eines retardierendes Momentes. Der Erzähler blickt aus der Erzählung heraus, indem er das weitere Leben des Spalanzani, der eigentlich bereits aus der Geschichte ausgeschieden ist, schildert. Er berichtet, dass das Geschehen Erschütterung und Skepsis in der Gesellschaft hervorgerufen hatte, die sowohl Spalanzani als auch Coppola gezwungen haben, zu fliehen. Erst im Anschluss nimmt der Sprecher die Erzählung von Nathanael wieder auf.
Die romantische Ironie in beiden Textstellen kommt zum einen dadurch zum Ausdruck, dass der Erzähler auktorial, also allwissend, berichtet. Dies steht im Gegensatz dazu, dass er – wie er selbst sagt - die Geschichte lediglich aus zweiter Hand erfahren habe (S.17/Z.32- S18/Z.1). Zum anderen unterbricht der Verfasser die Verlaufsform der Erzählung und verwendet den für die Schwarze Romantik so charakteristischen Tempuswechsel vom Präteritum ins Präsens, indem er den Leser direkt anspricht. Dies erzeugt für die sich in temporaler Logik abspielende Handlung einen Schnitt, der ebendiese Logik durchbricht und dem Leser damit gleichzeitig mitteilt, dass alles nicht wahr ist (Romantische Ironie).
3. Warum und wann verschwimmen in „Der Sandmann“ Realität und Nachtseiten des Lebens von Nathanael?
Zu Anfang des Buches beobachtet Nathanael seinen Vater mit Coppelius bei Experimenten in der Stube des Vaters( S. 9 ). Wegen der Ammenmärchen über den Sandmann hält Nathanael Coppelius für diesen. Als Nathanael aus seinem Versteck hervorkommt, schildert er dem Leser, wie Coppelius nach seinen Augen verlangt, um sie in das Feuer zu werfen, das auf einem Herd im Wandschrank lodert. Sehr realitätsfremd wirkt es, als Nathanael erzählt, dass Coppelius ihm Hände und Füße abschraubt und sie an umgekehrter Stelle wieder anfügt (S. 10). Von diesem Zeitpunkt an glaubt Nathanael noch fester daran, dass Coppelius der Sandmann sein muss. Der Sandmann bzw. Coppelius sucht ihn immer wieder in seinen Träumen und seiner Einbildung heim. Dieses wird ihm auch durch den Tod des Vaters durch Coppelius bestätigt (S.11). Als ihn später dann der Wetterglashändler Giuseppe Coppola zu ihm kommt, der Coppelius ähnlich sieht, hält er diesen für den Sandmann, der sein Liebesglück zerstören will. Bei diesem Besuch präsentiert er Nathanael seine Ware, indem er sie auf den Tisch legt. Er verkauft nicht nur Wettergläser sondern auch Brillen und Perspektive ( S. 27). In dieser Situation verfällt Nathanael wieder seiner Nachtseite, da er die Brillen für menschliche Augen hält, die ihn anstarren.
Wir sind der Meinung, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass Coppola real war, jedoch zweifelhaft, dass es der Sandmann Coppelius ist. Durch das Taschenperspektiv, das er Coppola abgekauft hatte, sieht er immer herüber zu der Tochter des Professors Spalanzani, die oft leblos am Fenster ihres Zimmers sitzt (S.29). Nathanael bildet sich ein, sie sei wunderschön und die Frau seines Lebens, für die er auch seine Verlobte Clara verlassen würde. Jedoch begreift er nicht, dass Olimpia nur ein Automat ist. In seinem Wahnsinn nimmt er dies jedoch nicht wahr und fixiert sich komplett auf sie. All das, was er mit Olimpia erlebt, bildet er sich nur ein. Zwar fällt ihm auf, dass sie sehr ruhig und steif ist und ihre Hände eiskalt sind, beachtet dies aber nicht weiter und schiebt es auf ihre Schüchternheit (S. 31, 33) . Bei einem Besuch bei Olimpia trifft er auf Coppelius, der sich mit ihrem Vater um sie streitet. In diesem Streit zerren diese beiden heftig an Olimpia, bis diese letzten Endes zerbricht. Da Nathanael immer noch nicht begreifen kann, dass Olimpia kein menschliches Wesen ist, überkommt ihm der Wahnsinn, als ihre Augen leblos auf dem Boden liegen ( S. 38). Als Nathanael zu seiner Mutter, Lothar und seiner Verlobten zurückkehrt, scheint er vom Wahnsinn geheilt. Bei einem Ausflug mit Lothar und Clara gingen die Drei auf einen Turm in der Stadt. Nathanael versucht mit Hilfe seines Perspektivs die Landschaft besser zu sehen und erblickt dabei Coppelius in der Menschenmenge zu seinen Füßen. Daraufhin versucht er Clara vom Turm zu stoßen, welche aber noch von Lothar gerettet werden kann. Kurz darauf stürzt er sich selbst vom Turm und stirbt (S.41,42).
In der Geschichte verschwimmen Realität und Nachtleben Nathanaels sehr deutlich, da beim Lesen oft unklar ist, was Realität ist und was nicht. Es kommt auch am Ende nicht deutlich hervor, ob Coppeluis und seine Machenschaften wirklich waren, oder ob Nathanael sich diese nur einbildete.
4. Für Nathanael spielen Augen eine große Rolle. Wie ist das zu verstehen?
„Das Auge ist nicht nur das Organ der visuellen Wahrnehmung (und in übertragenem Sinn, das der Erkenntnis schlecht hin), seit der Antike gilt es auch als Spiegel der Seele. Beim Streit um Olimpia werden beide Bedeutungen gegeneinander ausgespielt.“( Rudolf Drux, S.69)
Nathanael definiert positive oder negative innere Werte anderer Personen über ihre Augen. So verbindet er den grimmigen Blick des Advokaten Coppelius mit der traumatischen Angst vor dem Sandmann. Obwohl Olimpia ein „lebloser Automat“ ist, assoziiert er ihre Augen mit innerer Schönheit. Dies ist ein Widerspruch, da Coppelius gestohlene Augen verwendet hat, um die Puppe zu vervollständigen. Das Motiv der Augen ist eng verbunden mit dem Motiv des Wahnsinns. Durch das Herausspringen der Augen aus der leblosen Olimpia nämlich, verfällt Nathanael dem Wahnsinn, welcher sein Schicksal besiegelt und ihn letztendlich in den Tod stürzt. Seine letzten Worte („ha! Sköne Oke, Sköne Oke“) greifen erneut das Augenmotiv auf, das alle entscheidenden Stationen im Drama entscheidend beeinflusst. Daher symbolisiert das Augenmotiv die übernatürliche Macht, die das Kommen und Gehen auf der Erde lenkt. Somit stellen die Augen das Leitmotiv in Hoffmanns „Sandmann“ dar.
5. Welcher Typ von Frau ist Olimpia? Welches Frauenbild spricht aus der Erzählung?
Grundsätzlich wird Olimpia in E.T.A Hoffmans „Der Sandmann“ aus zwei verschiedenen Perspektiven beschrieben: Anfangs beschreibt Nathanael Olimpia als eine Frau mit „verführerischem Anblick“ (S. 29, Z. 28) und einem „schön geformte[m] Gesicht“ ( S. 29, Z. 32). Allerdings scheinen ihm ihre Augen „seltsam, starr und tot“ ( S. 28, Z.33). Im Laufe der Geschichte ist Nathanael blind vor Liebe. Nathanael wird immer verrückter nach Olimpia und vergisst sogar Clara. Als er Olimpia küsst, spürt er, wie ihr „Puls schlägt und Blutströme glühen“ (S. 31, Z. 34f.). Bei Professor Spalanzani sieht Nathanael, wie sich der Professor mit Coppelius über Olimpia streitet. Nach einem Kampf zwischen den beiden werden Olimpia die Augen herausgerissen. Jetzt bemerkt Nathanael, dass seine Geliebte nur ein „Holzpüppchen“ (S 38, Z.18), ein Automat, ist. Außenstehende sehen Olimpia aus einer anderen Sichtweise. So bemerkt Siegmund, dass Olimpia ein „Wachsgesicht“ (S. 34, Z. 4) besitzt. Weiterhin beschreibt er sie als „starr und seelenlos“ (S. 34, Z. 18). Durch „Ihr[en] Blick[...] ohne Lebensstrahl [...], ohne Sehkraft“ (S.34, Z.20f) und den „Gang eines aufgezogenen Räderwerks“ (S. 34, Z. 24), charakterisiert Siegmund sie als Automat . Sie ist den Außenstehenden „ganz unheimlich geworden“ (S. 34, Z.26), da „sie nur so wie ein lebendiges Wesen“ (S.34, Z. 27f) agiert. Jetzt stellt sich die Frage, ob es ein klar definiertes Frauenbild in E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ gibt. Anhand von Olimpia lässt sich diese Frage nicht beantworten, doch anhand von Clara und Nathanaels Mutter lässt sich ein klares Frauenbild definieren. Die Frau steht unter dem Mann. Dementsprechend muss sie ihm auch Respekt zollen. Dies merkt man, als die Mutter ihren Mann flehend „Vater, Vater“(S.11, Z.4) nennt. Wegen des Verantwortungsgefühls der Mutter für ihre Kinder (vgl. S.13, Z.37) , kümmert sich die Frau um die Kinder und den Haushalt. Deswegen verschweigt sie die alchemistischen Experimente des Vaters und des Advokaten Coppelius. Ein weiteres Beispiel des Frauenbildes ist die Abhängigkeit der Frau vom Mann. Clara bestätigt dies, indem sie immer wieder zu Nathanael zurückkehrt (vgl. S.40, etc.).
6. Wie stehen die Personen zueinander? Was bedeuten ihre Namen?
Bei der Namensgebung für den Protagonisten des Werkes verwendete Hoffmann die griechische Übersetzung seines zweiten Vornamens „Theodor“. „Nathanael“ kommt aus dem Hebräischen und bedeutet „Gott hat gegeben“. Zudem lässt sich sagen, dass die Endung „-ael“ den verstörten, dunkeln Geist Nathanaels widerspiegelt. Diese Endung wird besonders bei sündig gewordenen Engeln gebraucht. Die italienischen Übersetzungen (coppo= „Augenhöhle“/ coppela= „Schmelztiegel“/ copula= „Verbindung“) lassen sich auf alchemistische Experimente des Antagonisten zurückführen. Die Verwendung des Namen „Clara“ beruht auf der lateinischen Übersetzung von clarus,-a,-um, die „hell“ und „klar“ bedeutet. Die „Vernünftige“ verkörpert die Gegenspielerin zu Nathanael, dem emotionsgeleitetem: Sie vertritt die Werte der Aufklärung.
Olimpia: ital. für Olympia= „die vom olymp kommende“ -> die Himmlische
Lothar: althochdeutsch= berühmt, Heer, aggressiv, kämpferisch
Spalanzani: Anlehnung an Lazzaro Spallanzani (italienischer Priester, Philosoph, Universalwissenschaftler 1729-1799)
7. Handelt es sich bei Coppola und Coppelius um eine Person oder um zwei Personen?
Im Verlauf der Erzählung gibt es keine Textstelle, die eindeutig aussagt, ob Coppola und Coppelius eine Person sind. Auch findet man wiederum keine Passage, die besagt, dass es sich um zwei unterschiedliche Personen handelt. Jedoch äußern sich mehrere Figuren der Erzählung zu dieser Frage. So schreibt beispielsweise Clara in ihrem an Nathanael gerichteten Brief, dass für sie Coppelius und Coppola nur Gespinste Nathanaels Fantasie seien.
[...]Dass Coppelius und Coppola nur in meinem [seinem] Inneren existieren und Phantome meines [seines] Ichs sind [...] (S. 16, Z. 9f)
Nathanaels Physikprofessor Spalanzani äußert sich ebenfalls dazu. Dieser behauptet nämlich, dass er seinen italienischen Landsmann schon seit vielen Jahren kenne und bestätigt ihm dessen Herkunft. Coppelius hingegen ist nach Nathanaels Wissen ein Deutscher, was in diesem Fall dafür spricht, dass sie zwei Personen sind.
In einem weiteren Gespräch kann Clara Nathanael kurzfristig davon überzeugen, dass Coppola kein Doppelgänger Coppelius’ ist.
[...]Dass Coppola ein höchst ehrlicher Mechanicus und Opticus, keineswegs aber Coppelii verfluchter Doppelgänger und Revanant sein könne. [...] (S. 28, Z. 17ff)
Letztendlich ist nicht eindeutig feststellbar, ob Coppola und Coppelius eine Person oder zwei Personen sind. Man kann nur darüber spekulieren. Allerdings ist eine Tendenz erkennbar, dass die beiden Charaktere eine Person darstellen. Ein Grund hierfür ist die Textstelle gegen Ende der Erzählung, als Spalanzi, während eines Streits mit Coppola, diesem den Namen „Coppelius“ nachruft.
8. Ist Nathanael wahnsinnig?
Ja, er ist am Ende wahnsinnig. Allerdings gibt es verschiedene Eskalationsstufen seines Wahnsinns. Zunächst hat Nathanael nur panische Angst vor dem Sandmann bzw. dessen Verkörperung Coppelius. Dabei verbindet er den Sandmann aus der Erzählung der Amme mit dem Advokaten Coppelius, als er ihn nachts mit seinem Vater bei alchimistischen Experimenten beobachtet. Nachdem Coppelius ihn entdeckt hat, wird er von diesem „gemisshandelt“ (S. 10, Z.17). Dies führt zu einer langen Krankheit und lebenslanger Angst vor Coppelius.
Als Zweites kommt der Tod des Vaters bei einem Experiment mit Coppelius hinzu. Der Anblick des entstellten Leichnams führt bei Nathanael zu einer Traumatisierung, die immer in seinem Unterbewusstsein präsent ist.
Durch das Auftreten des Wetterglashändlers Coppola, den Nathanael für Coppelius hält, kehrt die Angst vor Coppelius zurück. Diese wandelt sich jedoch in Hass und Rachegedanken, weil Nathanael entschlossen ist, „es mit ihm aufzunehmen“(S.12, Z.15).
Beim erneuten Auftreten Coppolas kauft Nathanael ihm ein Perspektiv ab, durch das er die Nachbarin Olimpia beobachtet. Es verändert seine Wahrnehmung und lässt Olimpia unwiderstehlich erscheinen. Durch regelmäßiges Beobachten wird er abhängig und besessen von ihr.
Diese Besessenheit wird durch das kurzzeitige Verschwinden Olimpias noch einmal verstärkt.
Beim Festtanz in Spalanzanis Haus wandelt sich die Besessenheit in einen krankhaften Liebeswahn, denn er vergisst die Welt um sich und sieht alle Eigenschaften von Olimpia positiv. Er lebt nur noch für Olimpia. Auch seine Verlobte Clara bezeichnet er als „lebloses[...] Automat“ (S. 25, Z.4)
Damit ist auch die nächste Stufe wenig überraschend. Die Zerstörung Olimpias durch Coppola, deren Zeuge er ist, und sein bereits vorhandener Hass auf ihn bringen ihn zum Wahnsinn. Er sieht alle anderen als Feinde an.
Nachdem er in Folge der Angriffe auf Coppelius und Spalanzani in eine Psychiatrie eingewiesen worden ist, scheint der Wahnsinn sich gelegt zu haben. Allerdings ist dies wohl nur eine kurzfristige Verdrängung.
Doch das Betrachten Claras durch das Perspektiv führt zu einem erneuten Ausbrechen des Wahnsinns und er möchte sie umbringen, indem er sie vom Turm stürzt. Das kann gerade noch von Lothar verhindert werden.
Als er bei einem Blick vom Turm Coppelius entdeckt, steigert sich sein Wahnsinn auf das größtmögliche Niveau und er stürzt sich vom Turm hinab.